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For Sale - neue Aufgaben für alte Kirchen

Mit pompösen Säulen und von weitem sichtbaren Türmen erinnern die Kirchen von Glasgow an den einstigen Glanz der schottische Metropole. Doch viele Kirchen, auf die man dort trifft, sind eigentlich keine mehr. Sie sind heute ein Dudelsackmuseum, ein indisches Restaurant oder ein Geschäft für moderne Badewannen. Genauso wie sich die Gesellschaft am Fluss Clyde veränderte, so haben auch die vielen Kirchengebäude von Glasgow einen dramatischen Funktionswandel durchgemacht.

“Manchmal gab es drei Kirchen an einer Kreuzung”, erinnert sich Reverend Alexander Cunningham von der Propstei der Church of Scotland in Glasgow an vergangene Zeiten. Kirchen sind in dieser Stadt auch heute noch allgegenwärtig. Neben London ist Glasgow der Ort mit den meisten Kirchengebäuden in Großbritannien. Dies liegt vor allem daran, dass im letzten Jahrhundert die Church of Scotland scharenweise ihre Anhänger an Splitterkirchen verloren hatte. Erst 1929 gab es eine Wiedervereinigung zahlreicher protestantischer Gruppen. Das machte viele Gebäude, die in der Zwischenzeit entstanden waren, mit einem Schlag überflüssig. Etwa ein Drittel aller Kirchen in Glasgow ist seit dieser Zeit dem Abriss zum Opfer gefallen – auch solche berühmter Architekten wie Alexander „Greek“ Thompson, dessen Bauwerke heute als Abbild griechischer Tempel die Innenstadt prägen.

Für viele Schotten ist die Kirche – aus religiöser Sicht - ein Gebäude wie jedes andere. Das mag am nüchternen schottischen Presbyterianismus liegen und an der Tradition dieser reformierten Kirche, keinen Unterschied zwischen profanen und sakralen Bauten zu machen. Dennoch sind zahlreiche Menschen in Glasgow gegen den Abriss der zum Teil maroden Bauten: “Einige Gebäude sind einfach schön anzusehen und die Architektur sollte bewahrt werden. Ich bin gegen einen Abriss“, erklärt eine 58jährige Passantin. Insbesondere junge Menschen – gewöhnt an Retro-Style und immer auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen – wollen die alten Häuser nicht missen: „Die Kirchen sind Teil des Erbes unserer Stadt und beeindruckend anzusehen“, meint eine 28jährige.

Ein anderer Grund, weshalb vor allem in Glasgow Kirchengebäude überflüssig geworden sind, ist der drastische Bevölkerungsschwund der Stadt. Die Einwohnerzahl der einstigen Schiffsbau-Metropole ging von etwa einer Millionen Menschen Anfang der sechziger Jahre auf rund 611.000 in der Gegenwart zurück. Drastisch wirkt sich außerdem das Desinteresse vieler Briten an den Kirchen aus. Weniger als 30 Prozent der Menschen in Schottland sind in einer Kirche. So etwas wie Kirchensteuer gibt es dort nicht und viele Gemeinden müssen ihre Gebäude selbst in Schuss halten. Mit schwindenden Kirchenbesucherzahlen geht den Gemeinden finanziell die Luft aus. Schlusspunkt ist da oft der Verkauf. Etwa 35 Kirchen in Glasgow sind zu Zeit in einer alternativen Benutzung. 

„Da ist eine bestimmte Einzigartigkeit in diesem Gebäude“, erklärt der Manager eines Restaurants, das in einem Kirchengebäude untergebracht ist. Für ihn ist die Kirche und deren Architektur ein Anziehungspunkt. Im ehemaligen Kirchhof scharen sich die  Gäste beim abendlichen Bier. Geschäftsleute schätzen besondere Ambiente – ein Hauch von Erinnerung an Taufen Hochzeit oder den Kirchenbesuch - das sie ihren Kunden in diesen Räumen bieten können. Der Besitzer einer Boutique – ebenfalls in einer Kirche - meint: „Dieses Gebäude hat einen guten Charakter. Die Leute finden es interessant.“ Wie einst die Gemeindekirche so sind heute die alternativ genutzten Gebäude öffentliche Begegnungsstätte oder Kulturzentren. Die Film- und Medienwissenschaften der University of Glasgow sind in einem Kirchengebäude untergebracht. Zahlreiche Theater und Konzerträume haben im Schatten der Kirchtürme Unterschlupf gefunden.  

Die Bürger von Glasgow sind recht liberal mit der Vergabe ihrer alten Kirchengebäude. Einige sind nun Gotteshäuser für die Orthodoxe Kirche oder für Hindus geworden. Andere dienen als Indisches Restaurant, als Bücherdepot, Ausstellungsraum für Badebedarf oder schlicht als Wohnungen. Bei der Vergabe von Kirchengebäuden gibt es trotz allem immer noch gewisse Einschränkungen „Wir wollen die Menschen nicht in ihren Gefühlen angreifen“, meint Reverend Cunningham und sagt, dass er Bingo-Hallen in der Kirche ablehnen würde. Doch die Bestimmungen werden zusehends laxer. Alkoholgenuss, der früher in schottischen Kirchengebäuden Tabu war, ist heute kein Problem mehr. In der Szenedisco und ehemaligen Kirche  mit dem passenden Namen „The Temple“ tanzen inzwischen die Jugendlichen von Glasgow zu Technorhythmen. Aber es gibt in der Bevölkerung immer noch Vorbehalte: „Nachtclubs und Pubs halte ich nicht für passend“, erklärt eine 23jährige Studentin. „Ein Kirchengebäude sollte nicht für frivole Dinge herhalten“, erklärt ein anderer. Solche Stimmen gehören aber zu einer Minderheit. Die meisten Glaswegians sehen die Benutzung der Kirchengebäude gelassen.  

Heute noch ist unsicher, ob leerstehende Kirchen in Glasgow von der Abrissbirne verschont bleiben. Neue Nutzer müssen sich an Denkmalschutzregelungen halten und oft hohe Umlagen bezahlen. „Die Heizkosten sind einfach zu hoch“, meint der Besitzer eines Möbelgeschäftes, der eigentlich in eine Kirche wegen der günstigen Miete eingezogen war. Den großen finanziellen Problemen, dem so manches Kirchengebäude zum Opfer gefallen ist, begegnet seit kurzer Zeit der sogenannte Church Renewal Trust. Der 1994 gegründete Verein ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Denkmalschutzorganisationen, den Kirchen, der Stadt Glasgow und Architektur-Seminaren der Universität, die sich um den Schutz der alten Gebäude kümmern. Im März 2000 veranstaltete der Trust erstmals eine Konferenz ‚Neue Verwendungsmöglichkeiten für alte Kirchen – Eine nationale Debatte’ in Glasgow. Der Trust wehrt sich unter anderem gegen unrechtmäßige Käufe. „Die Kirchengemeinden verkaufen ihre Kirche zum bestmöglichen Preis, weil sie das Gebäude nicht mehr finanzieren können“, meint John Gair, Sekretär und Schatzmeister des Church Building Renewal Trust.  Leider hätten die Käufer dann meist nur den Abriss im Auge, bedauert er.    

Dass es inzwischen überhaupt eine Lobby für ungenutzte Kirchengebäude gibt, erscheint als Fortschritt in einer Stadt, in der es Jahrzehnte lang Methode war, ganze Viertel abzureißen. Kirchengebäude sind im Bewusstsein vieler nicht mehr überflüssig. Sie haben eine feste Funktion im Stadtbild von Glasgow. Was aber innerhalb des Gebäude passiert- Shopping oder Gottesdienst - das ist aber eher eine Überraschung.