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Im Newsdrive

Ein Blick über den Kanal: Wie machen die Briten Radio?
Na, wie wir Deutschen, denn wir haben es doch von ihnen.
Stimmt - nicht ganz.

Eine Sandsteinwand mit dem schwarz-weißen BBC-Logo, ein hoher Zaun und schwere Eisentore: „My home is my castle“ – das gilt in Schottland auch für Rundfunkanstalten. Es ist das Hauptquartier der BBC Scotland im Westend von Glasgow. Der Komplex ist ein Gebäudemischmasch aus honigbraunen viktorianischen Architekturjuwelen und tristen Backsteinbauten. Seit 1935 residiert hier die BBC Scotland. Für mich als Deutschen ist es etwas besonderes, durch die für Ausländer doch meist verschlossenen Türen der BBC zu schreiten. Immerhin ist die BBC nicht irgendeine Rundfunkanstalt. Sie ist die Mutter aller Rundfunkanstalten – und für uns Deutsche ist sie natürlich ein Vorbild für den Nachkriegs-Rundfunk gewesen.

Die schottischen Pförtner mit ihrem markigen „glaswegian“ Sprach - Singsang nehmen den Deutschen freundlich in Empfang und haben nach kurzer Zeit den Hausausweis mit dem begehrten Strichcode ausgedruckt - die Eintrittskarte zu BBC Scotland. Dann der erste Blick in den Newsroom: Ein vielleicht tennisplatzgroßer Raum mit Computern, flimmernden Fernsehern, Fernsehkameras und dutzenden geschäftigen Nachrichtenmachern, die diskutieren, Zeitungen studieren oder am Bildschirm konzentriert Texte eingeben. Fernsehen, Radio und Internet – alle Newsredaktionen sind hier miteinander vernetzt und in Sichtweite. Es ist Kommunikation pur.

Mein Ziel ist kaum von den vielen Schreibtischen der anderen Abteilungen zu unterscheiden. Es ist die Redaktion von „BBC Newsdrive“. Newsdrive ist, wie schon der englische Name andeutet, eine Nachrichtensendung für den Feierabendverkehr von 16 bis 18 Uhr. Denn selbst im dünn besiedelten Schottland stehen die „drivetime listeners“ wie ihre deutschen Leidgenossen gewöhnlich im Stau oder müssen lange Strecken nach Hause zurücklegen. Täglich hören etwa 150.000 Personen (etwa fünf Millionen Menschen leben in ganz Schottland) diese Sendung. Der Anspruch von Newsdrive? Die Hörer in allen wichtigen regionalen schottischen aber auch internationalen Themen auf dem aktuellen Informationsstand bringen. BBC Newsdrive ist ein reines Wortprogramm mit Nachrichtenstrecken, Interviews und längeren Magazinbeiträgen. Damit liegt die Sendung genau im Format ihrer Welle „BBC Radio Scotland“ - „Scotland’s only national radio station“, wie die BBC sich selbst anpreist. Radio Scotland sendet über Stunden hinweg reines Wortprogramm. Was in Deutschland eher verpönt ist, das ist nichts ungewöhnliches auf den Britischen Inseln. Musik spielt der Sender nur in speziellen Musiksendungen, wie etwa die „Celtic Connections“ – eine Abendmagazin über Folkmusik mit keltischen Wurzeln.

Die erste Redaktionssitzung von BBC Newsdrive startet morgens um 10.30 Uhr. Rund sieben Journalisten sind gewöhnlich in der Redaktion beschäftigt: Ein Editor (Redakteur), zwei Senior Producer (Produzenten), ein Producer, ein Broadcast Assistant (Rechercheur) und zwei Presenter (Moderatoren) betreuen die Radiosendung. Pat Stevenson hat die Funktion eines „Editors“. Ihre Rolle ist mit der einer leitenden Redakteurin in Deutschland zu vergleichen. Sie führt die Redaktionssitzungen, überwacht persönlich den Produktionsablauf und vergibt die generellen Richtlinien. Producer wiederum recherchieren Hintergründe, holen O-Töne ein, schneiden und texten Beiträge. Unterstützung bekommen sie vom Broadcast Assistant. Dieser übernimmt meinst einfachere Aufgaben, etwa das Buchen von Leitungen und Rechercheaufträge.

Wie auch in Deutschland lautet hier der Schwerpunkt der Redaktionssitzungen: Themen sammeln. Jeder vom Producer bis zum Presenter macht Vorschläge und übernimmt Themenfelder. Minutiöse Terminplanung wie in Deutschland, das stundenlange Wälzen von Pressemitteilungen gibt es hier nicht in diesem Maße. Ebenso müssen sich die Redakteure nicht von vorneherein auf sekundengenaue Beitragslängen festlegen – ungewohnte Freiheiten für einen Journalisten aus Deutschland. Die Redaktion stützt sich auf den BBC-eigenen Informationsdienst oder auf die aktuelle Tageslage. Auf der Agenda stehen heute die britischen Wahlen und eine Familie von Elstern, die auf schottischen Strommasten anstatt auf Bäumen nistet, weil es hier in einigen Landesteilen überhaupt keine Bäume gibt.

Themen für einen Deutschen wie mich? Da sind die Redakteure vor allem froh, wenn einer einmal den guten Draht über den Ärmelkanal ausspielen kann. Denn Sprachtalente sind hier Mangelware. Und Themen wie der deutsche Bestseller „Die Kunst des stilvollen Verarmens“ oder „Das Urteil über den Neonazi Heise“ lassen auch so manchen Schotten die Ohren spitzen. Denn Deutschland ist hier nicht nur durch die beiden Weltkriege sehr präsent. Meine Heimat ist ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor für die Schotten – und das nicht nur dank der Whiskyliebhaber oder der tausenden teutonischen Touristen, die jährlich die Highlands durchstreifen.

Meine Rolle als deutsch-schottischer BBC-Mann ist schon ein wenig prekär: Natürlich sind deutsche Pressereferenten perplex, wenn dann plötzlich ein akzentfrei sprechender Deutscher anruft und sagt: „Guten Tag, ich komme von BBC Radio Scotland“. Dann heißt es aufpassen! Allzu leicht vermitteln sie einen Interviewpartner, der dann gar kein Englisch spricht – und das wäre eine Katastrophe in der Livesendung wie BBC Newsdrive. Aber die potentiellen Interviewpartner lassen auf sich warten, die Recherche steckt in der Warteschleife. „Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München? Der Pressesprecher ruft sie zurück“, heißt es auf der deutschen Seite der Telefonleitung.

Die fertigen, mit der Software „Cool Edit Pro“ geschnittenen Radiobeiträge landen im redaktionseigenen Computersystem für den Programmablauf. Im Gegensatz zu vielen deutschen Redaktionen feilen die Schotten weniger die Sekunden – viele Entscheidungen fallen kurzfristig, fast während der Live-Sendung. Die Mittagspause bei der BBC Scotland entspricht glücklicherweise nicht den Vorurteilen über die schottische Lebensart. Ich war schon vorweg vor kulinarischen Wunderlichkeiten wie Haggis & Co gewarnt. In der Kantine lachen mir schon die obligatorischen wabbeligen Sandwiches und fettigen Aufläufe entgegen. – Doch es gibt sogar eine Frischetheke, an der schottischer Lachs gegrillt wird. Aufatmen.


Die BBC Scotland

Seit 1923 sendet die BBC aus der schottischen Metropole Glasgow. Damals begann alles noch mit einer kleinen Rundfunkstation, in der Innenstadt. Heute arbeiten rund 1330 Menschen bei BBC Scotland, sowohl in kleinen Studios in den Highlands und auf den Inseln als auch in der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Schwerpunkt bleibt aber Glasgow mit allein 250 Mitarbeitern, die für News und Zeitgeschehen zuständig sind. BBC ist übriges nicht gleich BBC. Nicht erst seit der „Devolution“ in Großbritannien hat die BBC Scotland unabhängige Programme. So koordiniert BBC Scotland zwei der fünf öffentlich rechtlichen TV Stationen : BBC Scotland und BBC TWO Scotland, sowie das nationale Rundfunknetzwerk, BBC Radio Scotland und das gälischsprachige Radio BBC Radio nan Gaidheal. Trotz des Parlaments und des Medienrummels in Edinburgh – Glasgow soll BBC-Standort bleiben. Für 2007 ist der Umzug in ein neues horchmodernes Sendegebäude zum „Pacific Quay“ am Ufer des Flusses Clyde geplant.