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„Hallo, hier ist Udo Seiwert-Fauti aus Edinburgh"

Udo Seiwert-Fauti ist der einzige deutsche Radiokorrespondent in Schottland. Vom HR-Studio in Wetzlar ging er in den Hohen Norden und berichtet für die ARD, die BBC und bisweilen sogar für den chinesischen Kicker.

Es ist bitterkalt, graue Wolken hängen über dem schottischen Parlamentsgebäude. Davor protestiert eine Handvoll BBC-Mitarbeiter gegen Stellenabbau. Hier draußen ist auch Udo Seiwert-Fauti. Wenn es um schottische News geht, dann ist er bei jedem Wetter vorort. „Das ist der Har – der Nieselregen ist so fein, der geht durch alles durch. Nach ein paar Minuten ist man patschnass“, sagt der Mann mit dem markigen Bart und den dunklen Haaren, die an einigen Stellen ins silbergrau übergehen. Er muss es wissen. Seit acht Jahren lebt Seiwert-Fauti als Korrespondent in Schottland und ist inzwischen nicht nur Experte für schottische Politik, sondern natürlich auch fürs hiesige Wetter. Unter dem obligatorischen Regenschirm der Royal Bank of Scotland verhandelt er dann auch gleich per Handy mit dem Deutschlandfunk über ein Themenangebot. Als er aufgelegt hat, sagt er: „Da hab ich mir schon einen schönen Anfang für den Beitrag ausgedacht“, und seine blauen Augen blitzen schelmisch auf.

Der Journalist als Ein-Mann-Unternehmen

Udo Seiwert-Fauti ist ein Ein-Mann-Unternehmen, eine Marke. Er ist der „einzige deutsche Journalist, der im schottischen Parlament akkreditiert ist.“ Dafür steht er und damit wirbt er. Sein ‚Studio’ ist ein schmuckes honigbraunes, Reihenhaus mit Vorgarten im Süden von Edinburgh. Von seinem kleinen Büro aus beliefert er Radiostationen der ARD, die BBC und mehrere Zeitungen sowie Fachzeitschriften. Sein Tor zur Außenwelt: der Computer mit Schnitt-Programm und ein 15.000 Euro teures Reporterset. Hier liest er live seine Texte und spielt dazu die O-Töne per Computer ab. Seine Beiträge überträgt er per ISDN in die Schalträume der deutschen Sender. Dann heißt es gewöhnlich: „Hallo, hier ist Udo Seiwert-Fauti aus Edinburgh .... Jetzt schneiden, jetzt schneiden...“ Hinter ihm lagern derweil seine Schallplattensammlung, zugleich auch sein Musikarchiv und reihenweise Bücher im Regal. Wohnzimmeratmosphäre. Wenn Seiwert-Fauti zum Fenster hinausblickt, dann blickt er auf Edinburghs schroffen, grünen Hausberg Arthur´s Seat. Aber für die schöne Aussicht bleibt oft keine Zeit: Themenangebote müssen raus, Kontakte gepflegt und neue Beiträge produziert werden. „Sehen sie, das sind meine Themen“, sagt er und hält einen hiesigen Zeitungsartikel über einen deutschen Wissenschaftler, der Goldfische zum Wasserklären benutzt, hoch. „Ich muss Marktnischen suchen, das bieten, was die Korrespondenten in London nicht liefern“, erklärt er.

Der Traum vom eigenen Studio

„Viele haben gesagt: das schaffst Du nicht“, erinnert sich Seiwert-Fauti an die warnenden Worte vieler Freunde, als es hieß, er wolle nach Schottland. „Ich hatte einen unkündbaren Vertrag bei der ARD“, erzählt er nicht ohne Stolz. Dennoch –  er wollte etwas Neues ausprobieren. Seiwert-Fauti schaute sich den Medien-Markt damals sehr genau an. London kam nicht in Frage, weil dort schon Korrespondenten saßen. Und Schottland? „Ein riesiges Land, so groß wie Nordrheinwestfalen findet in den deutschen Medien nicht statt – und all die hiesigen Tageszeitungen und Regionalzeitungen arbeiten sozusagen für mich“, resümiert er. Seiwert-Fauti griff zu und seine Familie mit ihm. Natürlich war er kein Großbritannien-Neuling. Seine Leidenschaft für das Land ist tief in dem 55-jährigen verwurzelt. Ein Schüleraustaustausch brachte Ihn Anfang der 60er Jahre erstmals nach Großbritannien. Und immer wieder zog es ihn dann nach Margate in Kent. Damals reiste er mit dem Zug über Koblenz, Brüssel nach Calais und dann mit der Fähre nach Dover. „Ich habe damals die erste Rockband live gesehen“, erinnert er sich. Sie hieß Love Affair. Ihn lockten vor allem Sprache und der Kultur – es waren die Swinging Sixties – nach Großbritannien. Schon bald zog es ihn nach London. Über 50 mal war er dort. Auch seine Frau lernte er bei einem Trip dorthin kennen. Auch später bei der Bundeswehr, wo er in einer Rundfunk-Einheit war, arbeitete Seiwert-Fauti mit Briten zusammen. Etwa bei gemeinsamen Sendungen mit den britischen Streitkräften.

Aus dieser Zeit stammt auch Seiwert-Fautis Leidenschaft für den Journalismus. Der Diplom-Betriebswirt schaute während des Studiums hinter die Kulissen der öffentlich-rechtlichen Sender, war erster Hospitant überhaupt bei SWF3 Popshop. Ab 1977 arbeitete er als Reporter und Moderator für den SDR, moderierte dort Livesendungen wie „Point“.
Als freier Mitarbeiter, unter anderem für den SWF,  kam er immer wieder auf die Britischen Inseln, und brachte im Koffer einige Hits nach Deutschland. „Den ersten Liveauftritt der Folkband Runrig – den hab ich mitgeschnitten“, erinnert er sich an ein Folkfestival in Edinburgh. „Das war ein Riesenerfolg. Ich hab nicht nur das Übliche gemacht, sondern hab erst mal das Risiko auf mich genommen und bin einfach hingefahren um etwas Neues zu suchen“, so sein Credo. Zurück kam er mit einem Turm von CDs. Schon damals war ihm klar, welches Potential für Journalisten in Großbritannien besteht: „Da fahren Viele in den Urlaub, da gab es zwar einen Korrespondenten, aber die machten nur Politik. Aber niemand, der sich um Musik und um die jungen Leute kümmerte.“ 

Die Hitplatten aus GB im Koffer

Seiwert-Fauti ist ein Mensch, der gerne ins kalte Wasser springt. So auch beim Aufbau eines Regionalstudios für den HR4 in Wetzlar Ende der 80er Jahre. „Da haben wir von Null angefangen, mit Radio-Neulingen“, erinnert er sich. Zwölf Jahre lang war er stellvertretender Studioleiter. Dann Schottland - erst recht ein Neuanfang. Und gerade in einer Gegend, die bei vielen Deutschen schlicht als kalt und dunkel und vor allem nass gilt. Und manchmal treffen gerade solche Klischees auch zu. Anfang der neunziger Jahre machte Seiwert-Fauti mit seiner Familie eine dreiwöchige Rundreise: „Es hat die ganze Zeit nur geregnet“, erinnert er sich. Trotzdem: Er schrieb einen Reiseführer über Schottland. In ein Land reisen ist die eine Sache, dort leben eine andere. Eine Wohnung, ein Büro und die laufenden Kosten – das machte Seiwert-Fauti zu schaffen. „Ich habe auch mal meine Miete nicht richtig bezahlen können, das gebe ich zu“, sagt er mit ernster Miene.  An Schottland gibt es außerdem auch Vieles, was ihm als Deutschen nicht passt: Etwa der Umgang mit der Umwelt, die desolaten Straßen und die Cliquenwirtschaft sind ihm bis heute ein Dorn im Auge. Andererseits kann er hier selbständig arbeiten und weiß besonders die Freundlichkeit der Menschen zu schätzen. Erst recht liebt er die Natur: „Ich fahre aus Edinburgh raus und man steht in einer Landschaft, wo nur Pferde und Schafe sind und kein Mensch dort“.

Als Seiwert-Fauti seine Arbeit in Edinburgh antrat, tat er das nicht ohne Schlachtplan: er kontaktierte alle möglichen Medien, Newsletter, Organisationen und Personen, sammelte Visitenkarten und schon bald war keiner mehr überrascht über den einzigen deutschen Journalisten im schottischen Parlament: „Das ist gut fürs Ego, wenn man den Minister trifft und der sagt: ah, the German correspondent“. Eine besondere Genugtuung war, dass er von  2000 an bei der BBC in Glasgow zwei Jahre als Chefredakteur bei ‚Good Morning Scotland’ arbeiten konnte. „BBC hat mich nicht genommen, weil ich so schöne blaue Augen habe, sondern weil die gesehen haben, was ich so mache“, sagt er. Doch die Arbeitszeiten und das ständige Pendeln nach Glasgow waren nichts für ihn. Trotzdem arbeitet er weiter für die BBC und deren Schicksal liegt ihm am Herzen. So spricht er bei einer Pressekonferenz einen befreundeten BBC-Offiziellen ohne Skrupel an: „Wissen sie eigentlich, dass London beschlossen hat, ihre einzige BBC  TV– Korrespondentin aus Berlin abzuziehen? Das ist doch unglaublich.“

Harter Markt für freie Korrespondenten

Seiwert-Fauti blickt von der Ferne aus sehr kritisch auf die deutsche Medienwelt. Ihn persönlich hat die Medienkrise voll erwischt. „Im letzten Jahr habe ich sechs Wochen lang keinen Pfennig verdient – da kann man wahnsinnig werden“, bekennt er wütend. Ganze Radio-Wellen sind ihm als Abnehmer weggebrochen – und das bei 1.000 Pfund ständigen monatlichen Kosten. Nun muss er mit deutschen Redaktionen verhandeln, bei denen finanzieller Schmalhans herrscht. Und manche Redakteure behandeln ihn eher wie einen ihrer Mitarbeiter als wie einen freien Unternehmer. Seiwert-Fauti nimmt in solchen Fällen kein Blatt vor den Mund und pocht auf seine exklusive Stellung und auf sein journalistisches Können. „Standing ist wichtig“, betont er immer wieder.

Vieles, was in deutschen Sendern zur Zeit passiert, stört den Schottland-Korrespondenten ungemein. „Das Formatradio mit Stundenuhren ist total unflexibel“, findet er. Warum könne man morgens keine Sieben-Minuten-Beitrag machen, wenn das Thema trägt, fragt er sich. „Hier ist das Radio ein Geschäft, und wenn das hier ein Geschäft ist, dann geht das in Deutschland auch“, so Seiwert-Fauti. 24 Stunden Wortprogramm, Sender für Minderheiten, Digitales Radio – alles dies sei machbar in Großbritannien. Die Medienkrise hat Seiwert-Fauti seine Arbeit gründlich umkrempeln lassen. „Man muss auch frech sein“, sagt er. Inzwischen beliefert er nämlich Österreichische Zeitungen, die chinesische Ausgabe des Kicker und diverse Medienmagazine. So steht nicht nur harte Tagespolitik sondern auch Themen wie Wissenschaft, Tourismus und vor allem Fußball, auf seinem Programm. Nichts ungewöhnliches also, wenn er als deutscher Journalist im schottischen Stirling eine chinesische Wissenschaftlerin zur Zukunft des Fußballs in China interviewt. Auch als Berater von deutschen und britischen Institutionen hat er sich einen Namen gemacht. – Doch inzwischen kribbelt es ihm wieder in den Fingern, Seiwert-Fauti will etwas Neues machen Immerhin habe er schon zweimal das schottische Parlament gewählt und: „Hier in Schottland habe ich alles gesehen, was man sehen konnte.“, sagt er.  Inzwischen zieht es den waschechten Europäer Seiwert-Fauti wieder zurück nach Deutschland, beziehungsweise ins Grenzgebiet zu Frankreich. Ich will mal wieder siegreiche Fußballspiele sehen, was in Schottland doch sehr rar ist”, erklärt er ironisch seinen Abschied dieses Jahr.

Aber noch sendet Seiwert-Fauti aus Schottland und sucht immer neue Absatzmärkte. So liest er am Computer eine E-Mail, blickt vom Bildschirm auf und sagt: „Gerade hat das Schweizer Radio ein Angebot von mir abgelehnt. Aber mein Motto heißt „Nicht aufgeben, wenn es nicht klappt. Jetzt weiß der Redakteur, dass ich da bin“, fügt er lächelnd hinzu und schreibt eine weitere E-Mail in die Schweiz.