.print

Die Sehnsucht nach Brot

Die deutschsprachige Evangelische Auslandsgemeinde in Schottland

Eine heiße Tasse Kaffee nach dem Gottesdienst, Gemeindemitglieder plauschen in Deutsch und Englisch vor sich hin - So gemütlich könnte es ewig im Haus der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde Edinburgh sein. Doch Pastor Walther Bindemann (58) hat es eilig. Der Mann mit dem graubraunen Vollbart, der runden Brille und dem dunklen Anzug hat noch einen langen Weg vor sich. Nachdem die Gemeindemitglieder alle gegangen sind, verschließt er hastig die Glastür des mausgrauen Gemeindezentrums aus Beton. Dann eilt er in seinen Ford Mondeo. Es ist das übliche Spiel. Kaum ist sein Gottesdienst in der Gemeinde Edinburgh vorbei, hetzt der Pastor zum nächsten Gottesdienst ins 75 Kilometer entfernte Glasgow. „Ich bin oft drei bis vier Tage die Woche unterwegs“, erzählt er im Auto. Währenddessen steuert sein europäisches Vehikel – also eines mit dem Steuerrad auf der linken Seite - durch den tückischen Linksverkehr über die Autobahn M8 in die andere schottische Metropole.  

Bindemann, Der Pfarrer auf Achse, ist als evangelischer Pastor zuständig für den Pfarramtsbereich Schottland / Nordostengland. Dieser ist der flächenmäßig Größte in ganz Großbritannien. Bindemanns Arbeitsplatz erstreckt sich sozusagen von der Nordspitze Schottlands bis nach Nordengland hinein – das sind fast 700 Kilometer Entfernung. Rund 40.000 Deutsche leben allein in Schottland. In den deutschsprachigen Gemeinden gibt es etwa 200 eingetragene Mitglieder, um die sich Pastor Bindemann zu kümmern hat. Bindemann ist stammt aus Düsseldorf, ist aufgewachsen in Vorpommern und hat enge Bindungen zur Hauptstadt Berlin. Vor der Wende war er Chef der Evangelischen Akademie Berlin (Ost), danach Studienleiter der Evangelischen Akademie zu Berlin. Als er auf eine Ausschreibung für die Gemeindearbeit im nordenglischen Pfarramtsbereich Middlesbrough / Newcastle aufmerksam wurde, griff Bindemann zu: „Für mich war es eine gute Gelegenheit, mal ins Ausland zu gehen.“ Gerade als DDR- Bürger sei ihm diese Gelegenheit immer versagt gewesen, meint er. Dennoch war es eine schwerwiegende Entscheidung, mit Frau und zwei Kindern den Schritt zu wagen. Inzwischen sind die Kinder erwachsen und haben in Großbritannien Lebenspartner gefunden.  

Pastor Bindemann fühlt sich wohl im Land der Schafe und Dudelsäcke: „Mit Großbritannien bin ich von vorneherein sehr gut ausgekommen“. Nur als Fußgänger habe er mit dem Linksverkehr große Probleme gehabt, gesteht er ein. „Wenn Ich hier lebe, darf ich nicht vergleichen. Ich muss ganz und gar hier leben“, bekennt er. Vieles fand er am Anfang aufregend, später begann er die Feinheiten kennen zu lernen, die Deutsche von Engländern und Schotten  unterscheidet. Etwa: Zu welchem Anlass einer dem anderen die Hand gibt. Von 1995 bis 1999 arbeitete Bindemann in Nordostengland als Pfarrer und in der Laienausbildung. Als die Pfarramtsbereiche Nordost-England und Schottland zusammengelegt wurden, übernahm Bindemann beide Bereiche.  

Auf der M8 zieht sich zäh der Verkehr, schon tauchen die tristen Wohnsilos von Glasgow auf. Trotz der stupiden Autostrecken - Im Ausland erlebt Bindemann Viele Episoden, die Pfarrern daheim verborgen bleiben. So kommt er bei seinen Touren beim einzigen „deutschen“ Bäcker weit und breit vorbei. Für Auslandsdeutsche ist dies ein ureigenes Stück Heimat. „Einmal im Monat hole ich beim deutschen Bäcker 20 Brote ab“, schwärmt er. Viele der Laibe bringt er dann seinen Gemeindemitgliedern vorbei. „Die Sehnsucht nach dem Brot lässt die Deutschen einfach nicht los“, sagt er lächelnd. Anderes ist weniger aufregend. Bindemann macht auf abgelegenen Strecken Hausbesuche, hilft gestrandeten Landsleuten. Er hält auch einmal einen Gottesdienst in der Wohnung eines Betroffenen ab, wenn dieser nicht mehr weg kann oder die Wohnung zu weit von der Kirche entfernt liegt. Auch deutschen Strafgefangenen hat er in Gefängnissen Beistand gegeben.  

Durch die regionalen Eigenarten in Schottland und England, hat sich Bindemann gleich mehre Bezeichnungen zulegen müssen, um sein Amt einigermaßen zu beschreiben. „Hier bin ich ein presbyterian minister und dort ein lutheran pastor“, spaßt er . Auch die Gemeinden sind hier anders gestrickt als zuhause in Deutschland. „Alle Kirchen sind selbständig“, sagt er, „eine einheitliche Gottesdienstordnung gibt es nicht“. Manchmal wisse er gar nicht, ob er im Gottesdienst an der einen Stelle stehen oder sitzen müsse, bekennt Bindemann. Dabei verschweigt er nicht, dass diese Freiheit der Gemeinden oft Schwierigkeiten für die Pfarrer mitbringen. Für ihn ist das Ungewöhnliche eben Alltag.  

Auf der M8 hat es zu regnen begonnen, Glasgow empfängt seinen Pfarrer unter einem grauen Wolkenschleier. Bindemann hält sein Auto an einem Reihenhaus im viktorianischen Stil – das Emanuel-Haus der deutschsprachigen Gemeinde Glasgow. Im Gottesdienstraum versammeln sich rund ein Dutzend Besucher, jeder kennt sich. Es ist alles etwas anders als in Deutschland. Ein Mann trägt einen Schottenrock – den Kilt. In einer Ecke sitzt ein kleiner müder Hund, der seinem Frauchen seit Jahren treu und still in den Gottesdienst folgt. Im Klingelbeutel klimpert Pfund Sterling statt Euro – Währung. Anschließend sitzen die Gemeindemitglieder bei einer Tasse Tee und Kuchen zusammen. Es ist eine bunte Mischung aus älteren Damen, und Berufstätigen und Studenten. Eine Seniorin mit Hörgerät erzählt: „Die Kirche ist mein zu Hause, meine Bekannten sind hier“. Es ist eine engagierte Gemeinschaft, die gerade große Veränderungen durchmacht. Denn viele der Gemeindemitglieder sind deutsche Frauen, die nach dem Krieg nach als sogenannte ‚War brides’ – Kriegsbräute , also Gattinnen britischer Soldaten,  nach Schottland gekommen sind. Das ist lange Zeit her und jene, die das Gemeindeleben der Nachkriegszeit maßgeblich mitbestimmt haben, werden immer weniger.

„Der Kern der Gemeinde ist eine verschwindende Generation“, erklärt Pastor Bindemann. Er dokumentierte die Geschichte der alteingesessenen und neuen Gemeindemitglieder. „Ich habe ein Buch mit Interviews zusammengestellt, damit dies alles nicht vergessen wird“, sagt er. Für Pastor Bindemann sind die Auslandsgemeinden trotz aller Umbrüche kein Auslaufmodell.  Im Gegenteil. Bindemann sieht immer mehr neue Gesichter in seinen Gemeinden. Die Kindergottesdienste seinen stark besucht, stellt er fest. – das liege vor allem an den Freiheiten durch die EU und an der wirtschaftlichen Lage, so der Pastor. Doch die neue Generation in den Gemeinden ist eine andere. „Das ist ein starkes Kommen und Gehen“, sagt Bindemann. Er spricht von  Nomaden, die in ihre Gemeindeoasen ziehen, diese aber auch leicht wieder verlassen.   

Es ist schon Abend, als Pastor Bindemann seine Gemeinde in Glasgow verlässt. Die Gemeinderatssitzung nach dem Gottesdienst hat sich lange hingezogen. Nun dauert es fast eine Stunde, bis er seine Wohnung in Edinburgh erreicht. – Es ist ein harter Job und Bindemann hat sich inzwischen entschlossen, zurück nach Deutschland zu gehen. Anfang August beginnt Bindemann eine Pfarrstelle in Oderburg an der Oder in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.  „Es ist Zeit zurückzugehen – man verausgabt sich“, sagt er. Bindemann ist gespannt auf seine Rückkehr: „Wenn ich nach Deutschland komme, wird es ein fremdes Land sein.“, sagt er. Viel habe sich in Deutschland verändert: der Euro, Hartz IV. Bei Besuchen sei er schon peinlich aufgefallen, weil er nicht mit Euro – Münzen umgehen konnte.  Doch noch steuert Pastor Bindemann seinen Mondeo Meile um Meile durch das Land des Nieselregens. Was mag er wohl vermissen, wenn er zurück in Deutschland ist? Vielleicht die kleinen, außergewöhnlichen  Dinge seines Alltags in der Fremde, von denen er so  gerne erzählt. Etwa jene Anekdote aus seiner Gemeinde in Aberdeen: „Dort haben nutzen wir den Schreibtisch des Pfarrers als Altar – und später verwandelt er sich in eine Coffee Bar.“ – Deutsche Improvisationskunst in der Fremde.


Auslandsgemeinden in Schottland / Nordostengland

Deutsche Auslandsgemeinden in Schottland und Nordostengland können auf eine lange Geschichte zurückblicken. Schon im 19. Jahrhundert entstanden deutsche evangelische Gemeinden in Großbritannien. Diese bauten zum Beispiel auf bestehende Seemannsmissionen auf. Mitglieder waren Seeleute, Arbeiter aus der Schwerindustrie, aber auch Kaufleute und Chemiker. Gewöhnlich schlossen sich die Gemeinden dem Verband der Preußischen Landeskirchen an. Kirchengebäude und Samstagsschulen entstanden, die Gemeinden blühten auf. Durch die Weltkriege war die Gemeindearbeit aber immer wieder jäh unterbrochen. Deutsche waren verdächtig und wurden interniert, die Gemeinden verwaisten. Die heutigen Gemeinden sind vor allem von der Einwanderungswelle in der Nachkriegszeit geprägt. Damals kamen viele deutsche Frauen mit einst in Deutschland stationierten Soldaten nach Schottland - und blieben. Es gibt große Gemeinden wie in Edinburgh (100 Mitglieder), Glasgow, Newcastle und Middlesbrough. Andere Orte, wie etwa Inverness in den Highlands, sind Predigtstationen mit zwei Gottesdiensten und einer Adventsfeier im Jahr. Heute kommen viele Deutsche, die in Großbritannien eine Arbeit gefunden haben oder hier studieren, in die Gottesdienste. Die Gemeinden haben einen gemeinsamen Gemeindebrief „Brückenbrief“ und pflegen Kontakt zu den lokalen Kirchen wie die Church of Scotland oder die Church of England. 


Bücher von Pastor Bindemann:

Walther Bindemann (Hrsg.) : „... und manchmal umarmt vom Regen – Lebenswege und Lebensansichten von Deutschen in Schottland“, verbum Druck- und Verlagsgesellschaft Berlin, 2004

Walther Bindemann: „Brückendienst an Tyne und Tees – Geschichte der deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Middlesbrough und Newcastle upon Tyne“, Alpha Books Edinburgh, 2002